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Visionär oder Phantast ?
Die Begriffe Visionär und Phantast scheinen häufig recht nahe beieinander zu liegen. Das wurde mir erst neulich wieder bewusst, als einmal mehr ein alter Bekannter aus meiner früheren Stuttgarter Zeit zu Grabe getragen wurde. Dabei war der sogar noch fast vier Jahre jünger als ich. Die Einschläge kommen immer näher ! Der Verstorbene war von Beruf Architekt, hatte allerdings in diesem Beruf schon seit Mitte der 1990er Jahre nicht mehr gearbeitet, weil er völlig demotiviert war, aufgrund der Erkenntnis, dass er seine gewaltigen Visionen vom neuen Bauen zeitlebens nie wird umsetzen können. Er sah sich damals schon in seiner Kunst, wie er den Beruf bezeichnete, zu sehr von behördlichen und umweltheuchlerischen Vorgaben eingeschränkt, wie er selbst das nannte. Die Urheber der neuzeitlichen Baubestimmungen und von Umweltauflagen sah er als denkbehinderte Kleingeister ohne echten Horizont. Dabei waren die 90iger Jahre in dieser Beziehung sicherlich noch großzügig, im Vergleich zu dem, was heute alles an Umweltauflagen auf die Architekten einströmt. Er erkannte damals bereits, was sich heute tatsächlich abzeichnet, dass der wahre Fortschritt in der urbanen Architektur in den aufstrebenden Schwellenländern Asiens stattfinden wird, während hier nur noch an Zwischenkrümeln herum gedoktert wird, die mit der eigentlichen Architektur nicht mehr viel zu tun haben. Er verglich das ein wenig mit einem erfundenen Vergleichsbeispiel aus der Autoindustrie, in dem er meinte, während man künftig in andern Ländern neue Autos mit fortschrittlichen Konzepten kreiren wird, doktert man hier nur noch daran herum, ob beispielsweise die Bezugsstoffe von Sitzen ökologisch vertretbar sind. Das Hauptaugenmerk wird immer mehr auf Nebenschauplätze verlagert, die mit der eigentlichen Sache kaum noch etwas zu tun haben. Er war davon überzeugt, dass genau daran die deutsche Wirtschaft früher oder später kaputt gehen wird.
Eine seiner grandiosesten Visionen war der tatsächliche Wunsch, einmal eine Hochhaussiedlung oder wenigstens ein einzelnes Hochaus mit mindestens 50 Stockwerken ganz oben gipfelnah auf einem alpinen Berg zu errichten. Heutige Umwelt- und Alpenschützer würden vor Wut wie eine Apollo - Rakete in den Weltraum abheben und die Erdumlaufbahn komplett verlassen, wenn sie von solchen Plänen erfahren würden. Dabei hatte er sich als Zielbaugebiet kein geringeres auserkoren, als die Zugspitze. Man möge sich das nur einmal bildlich vorstellen, oben drauf, sozusagen auf der Spitze der Zugspitze, so eine Art Empire State Building, welches dort empor ragt und die Gipfelhöhe künstlich noch um weitere 150 m erhöht. Er hatte dafür sogar schon detailierte Baupläne in über zehnjähriger Feinarbeit entworfen, die genau festlegten, wie ein solcher Hochhausbau oben auf einem Alpenberg überhaupt standfest gegründet und gebaut werden kann. Diese Pläne umfassten schon über 100 prall gefüllte Aktenordner. Als potentielle Kunden für den Kauf der darin befindlichen Wohnungen sah er, wie sollte es bei solch einem Projekt anders sein, die Megareichen dieser Welt. Wer könnte es sich sonst schon leisten, auf rund 3.000 Metern Höhe plus vielleicht nochmal weiteren 150 Metern in den oberen Etagen eines Hochhauses droben auf dem Berg zu wohnen? Man sollte bedenken, dass dorthin dann ja auch alle Lebensmittel, Strom, Wasser etc. in entsprechenden Mengen befördert werden müssten, im Gegenzug müssten Abwässer und Abfälle in entsprechend großen Mengen ins Tal und der Wechselverkehr der dort lebenden Menschen und ihrer Besucher müsste ja auch irgendwie geregelt werden. Doch für all diese Probleme hatte er schon Lösungen parat, natürlich mit entsprechend finanziellem Realisierungsaufwand. Es ist klar, dass er mit dieser Idee überall nur auf Hohn und Spott stieß. Sein damaliger Arbeitgeber, ein großes Architekturbüro, hatte ihm zur Auflage gemacht, in der Öffentlichkeit nie mehr über diese Projektidee zu reden, weil man befürchtete, dass man den eigenen guten Ruf mit derartigen Phantastereien völlig ruinieren würde, wenn man dieses Büro mit dem Mitarbeiter in Verbindung brächte.
Diese, für viele völlig abwegig klingende, Vision war nur eine von vielen, wenn auch mit Abstand die spektakulärste. Noch in seiner aktiven Zeit, bereits Ende der 1970er Jahre, hatte er sich besonders bei Entwürfen zur Umgestaltung nicht mehr benutzter Industriebauten in Wohnraum hervor getan. Heute nennt man sowas oft neumodisch “Loft”, aber seine Umgestaltungen hatten meist mit dem, was man heute unter einem Loft versteht, nicht wirklich viel zu tun. Er gestaltete nämlich alles um, so dass man am Ende innendrin ganz normale Wohnungen hatte, wie sie damals Standard waren und auch außen wurden erhebliche Änderungen vorgenommen. So entstanden aus der alten Substanz Gebäude, denen man also ihre Vergangenheit als Fabrik oder ehemaliges Verwaltungsgebäude überhaupt nicht mehr ansah.
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Hier haben wir z.B. ein von ihm schon im Jahr 1977 vollkommen umgestaltetes, altes Fabrikgebäude, welches danach innen beachtliche 24 Wohnungen enthielt. Von der ursprünglichen Backsteinfassade ist rein gar nichts mehr zu sehen, da alles großzügig mit damals modernen Betonplatten verkleidet wurde. Sämtliche alten Fenster wurden davor zugemauert und komplett neue geschaffen, die absichtlich total quadratisch waren, wie überhaupt das ganze Gebäude am Schluß wie ein überdimensionaler, eckig - quadratischer Schuhkarton mit Fenstern aussah. Gewiss nicht jedermanns Geschmack, aber damals wars eigentlich der letzte Schrei und genau so was liebte er, weil er zugleich die maximale Raumausnutzung liebte, und die ist nunmal mit eckigen Bauwerken am besten machbar.
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Er hatte früher etliche Projekte in Planung, um nur einige zu nennen: Bau einer kubistischen Kirche / Bau eines sogenannten Stifthauses (ein sehr schmales Hochhaus, welches aussieht, wie ein stehender Bleistift) / Bau eines mehrgeschossigen Hallenbades, bei dem man von einer Ebene in die nächste schwimmen konnte / Errichtung eines komplett unterirdischen Mehrfamilienhauses auf (in) der Schwäbischen Alb mit 60 Wohneinheiten; Taglicht sollte dort durch sogenannte Fresnel - Linsen und Lichtleitkegel in alle Etagen eingespeist werden.
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Später, nachdem er eigentlich schon lange nicht mehr als Architekt arbeitete, hatte es er sich 2009 nochmal zur Aufgabe gemacht, ein altes, seit Jahrzehnten stetig verfallendes Bauerngehöft zu modernem Wohnraum umzugestalten. Das riesengroße Anwesen, mit über 4500 m² Land und zig alten Gebäuden, welches etwa 100 km von Stuttgart entfernt liegt, hatte er auf eigene Rechnung gekauft, um es dann nach eigenen Plänen umbauen zu lassen und die einzelnen Wohneinheiten dann wieder als Eigentumswohnungen zu verkaufen. Aus dem Projekt wurde nichts, weil wiedereinmal mehr die örtlichen Baubehörden mit der angestrebten
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Moderne nichts anfangen konnten (auch diese Gebäude sollten ein eckiges und glattflächiges Outfit erhalten). Der zuständige Bürgermeister des Ortes, dem die Anlage bis dato völlig egal war, wurde plötzlich wach und schaltete den Denkmalschutz ein, der auf einmal befand, dass das Anwesen hoch denkmalschutzwürdig sei, womit weitgehende Veränderungen im Sinne des Architekten unmöglich wurden. Im Prinzip eine erneute Bestätigung für seine Thesen, die damals mal zur Aufgabe seines Berufs geführt hatten. Es hieß, dass der Bürgermeister dieses Ortes nahezu explodiert sei, als er von den für ihn sehr befremdlichen Umbauplänen hörte. Nun nach dem Tod des Architekten kam es mir in den Sinn, dieses vorletzte Objekt von ihm vor kurzem noch mal zu besuchen, mit erschreckendem Bild, siehe oben rechts. Alles verfällt, Verrückte hatten sogar schon einen Brand gelegt, was der ohnehin schlechten Bausubstanz nicht gerade geholfen hat. Jetzt ist die Bude definitiv nur noch ein Fall für die Abrissbirne, das haben Denkmalschutz und der Bürgermeister mit ihrer Aktion von 2009 erreicht. Bravo! Das Foto zeigt übrigens nur etwa 20 % des dortigen Gebäudebestandes. Die anderen Gebäude sehen allerdings kaum besser aus.
Da er im Raum Stuttgart mit seinen Ideen damals nicht Fuß fassen konnte, versuchte er es etwa 2011 in einigen anderen Städten erneut. So weiss ich von einem geplanten Projekt im Saarland in der Stadt Saarlouis. Davon hatte er sogar mal Fotos hier gelassen, weil er uns anbieten wollte, dort nach dem Umbau in eine der neuen Wohnungen einzuziehen, woran wir zwar eigentlich kein Interesse hatten, weil wir mit unserer Wohnsituation hier absolut glücklich sind, aber die Fotos hat er trotzdem mal dagelassen.
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Eine kleine alte Textilfabrik in oder bei Saarlouis, die dort als die “Blaue Fabrik” bezeichnet wurde, hatte er nach dem Scheitern des Bauernhofumbaus erworben und wollte diese dann innen aufwendig in Wohnungen umstricken. Hierbei war er allerdings selbst von der Gestaltung des Originalzustandes begeistert, so dass diese Fassaden in optisch aufgewertetem Zustand erhalten werden sollten. Zur Fertigstellung des Projektes kam es jedoch nicht, weil sich die Erkämpfung der notwendigen Baugenehmigungen trotz Beibehaltung des originalen Fassadenbilds quasi bis zu seinem neulichen Tod hinzogen und das bislang ohne
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Ergebnis.Was nun nach seinem Tod aus dem eigentlich schönen Anwesen wird, ist fraglich. Ich weiss nicht, ob er überhaupt Erben hat, die seine, trotz der vielen Rückschläge beachtlichen Hinterlassenschaft verwerten können. Finanzsorgen waren für ihn stets ein absolutes Fremdwort, Geld hatte der immer reichlich genug. Genaue Zahlen kenne ich nicht, gehe aber davon aus, dass er mindestens über 5 Millionen Euro “schwer” war. Der hatte immer auch etliche teure Autos zeitgleich, so fuhr er mehrere hochmotorisierte Mercedes - Karossen, mindestens 3 Stück hatte er davon in unterschiedlichen Typen und Ausführungen, alle mit weit über 200 PS und einen älteren Porsche 911 aus den späten 70er Jahren, der sehr teuer restauriert worden war. Soweit ich weiss, war er weder verheiratet noch hatte er Kinder. Ich kann mich nur entsinnen, dass er vor vielleicht 15 Jahren längere Zeit mit einer, wie wir hier sagen, Lilliputanerin zusammen war, also einer kleinwüchsigen Frau. Ob diese Beziehung allerdings zuletzt noch bestand, ist mir nicht bekannt, ich glaube eher nicht. Ich habe diese Frau ungefähr im Jahr 2008 zuletzt bei ihm gesehen. Zuletzt getroffen hatte ich ihn persönlich im Februar dieses Jahres in Stuttgart, was von hier aus etwa 70 km entfernt liegt. Er war sichtlich alt geworden, machte aber eigentlich noch einen recht fitten Eindruck. Abgenommen hatte er viel, früher war er immer locker für 130 kg, eher etwas mehr gut, aber beim letzten Zusammentreffen schätze ich jedenfalls, war er auf etwa 80 kg abgemagert, wodurch seine Gesichtszüge etwas zusammengefallen wirkten. Fett polstert ja bekanntlich auch einige Falten weg, aber wenn diese Polstermasse plötzlich weg ist, dann verliert die Haut stellenweise an Haltung, jedenfalls im etwas gesetzten Alter. Er war im Februar ansonsten noch voller Tatendrang und berichtete mit leuchtenden Augen vom aktuellen Stand der Dinge in seinem letzten Projekt, dem oben erwähnten Umbau der früheren Textilfabrik bei Saarlouis und von dem, was er dort noch alles vorhat. Um so erstaunter, ja erschrockener war ich, als ich nun, knapp ein halbes Jahr später, von seinem Tod erfahre. Sind wir mal ehrlich, knapp 67 Jahre, das ist doch heute noch kein Alter zum sterben. Ich gehe nicht gerne auf Beerdigungen, weil mich die dortige Stimmung meist mindestens für eine ganze Woche nach unten zieht, daher lasse ich Beerdigungsbesuche auch schon mal gerne aus, wenn es sich vermeiden lässt. Aber bei ihm wäre es aus Anstandsgründen eigentlich eine klare Sache gewesen, dass ich teilnehme, dafür kannten wir uns zu gut, aber als ich von seinem Tod erfuhr, lag er bereits seit einem Monat unter der Erde. Nun hält man nichts auf, den Gang der Dinge schon gleich gar nicht, egal ob man teilnimmt oder nicht, in dem Falle fand ich es jedoch wirklich schade, dass ich nicht teilnehmen konnte. Es hätte mich auch mal interessiert, ob ihm viele Menschen die letzte Ehre erwiesen haben oder nicht, denn ich glaube, dass er schon seit vielen Jahren kaum noch Bekannte, Verwandte oder Freunde hatte, obwohl er von der Grundeinstellung her ein großartiger Mensch war. Es ist dann immer schade, wenn solche irgendwie genialen Leute am Ende ihres Lebens mehr nur in Vergessenheit verscharrt werden, ohne dass großartig jemand Notiz davon nimmt. Man kann da noch nicht mal sagen: aus den Augen, aus dem Sinn; weil diese Leute vorher schon aus dem Sinn waren. Naja, ihm selbst wäre es in dem Zustand der Endgültigkeit ohnehin sicher völlig egal, ob einer, keiner oder 1000 Leute an der Beerdigung teilgenommen hätten, weil es nichts wirklich bewirkt, außer in den Köpfen möglicher Hinterbliebener. Somit in einem stillen Gedenken an einen phantastischen Visionär, der wie kaum ein anderer wusste, was es heisst, ständig von sinnlosen Bestimmungen und Kurzdenkern ausgebremst zu werden.
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