Schneemann

Nobler Schneemann

Schon oft habe ich es gesagt, obwohl es gemein klingt, Schadenfreude ist die größte Freude. Über andere ist immer leicht lachen, wenn man selbst nicht betroffen ist. Manche werden das als schändlich ansehen, ich überhaupt nicht, weil ich beide Seiten kenne. Oft genug war ich in meinem Leben derjenige, der den Schaden hatte und über den gelacht wurde. So bin ich froh, heute in einer Lebensphase zu sein, in der ich häufiger über andere lache, als umgekehrt. Man könnte sicher sagen, da hätte ich noch einiges an Nachholbedarf, weil früher so sehr oft über micht gelacht wurde. Wie so oft klingt die Sache völlig banal, ist es auch, denoch haben wir uns sehr amüsiert. Es muss ungefähr in der 2 oder 3 Januarwoche gewesen sein, hier lag richig schön alles voll Schnee und es war saukalt, da kam ein nobler Mercedes hier an dem Fabriktor vorgefahren. Sogar ein Chauffeur stieg aus, öffnete einem wohlgekleideten Herrn die Autotür, der stieg aus und versank sogleich im Schnee. Das war ein Bild, das kann man nicht beschreiben. Wie ein Gartenzwerg mit einer Hydraulik oder mit einem Teleskop, welches man zusammenfährt, wurde der noble Herr immer kleiner. Dann ruderte er mit den Armen wild umher, wie ein Nichtschwimmer, der sich panisch vor dem Ertrinken retten will. Durch diese Wankbewegungen verlor er dann das Gleichgewicht und stürzte schließlich vollends der Länge nach in die Schneemassen. Der Chauffeur war bemüht seinen Herrn wieder aus dem Schnee hervor zu kramen, was sich aber schwieriger gestaltete, da auch er jeden Halt verlor, als er näher zu seinem Chef hin trat. Kein Wunder. In den Schneemassen konnte man den Unterschied zwischen der Fahrbahn von der Einfahrt und dem rechten Straßen-Entwässerungsgraben nicht mehr richtig ausmachen, schon gar nicht, wenn man sich hier nicht auskennt. So hatte der Chauffeur die Karosse so gerade haarscharf noch auf dem mit Schnee bedeckten Asphalt geparkt, er selbst kam auch auf der Fahrerseite noch mühelos raus, stapfte zwar auch im Schnee, aber eben mit Asphalt darunter. Hingegen sein Boss stand gleich am Abgrund in dem Entwässerungsgraben, den man aber vor lauter Schneefülle nicht erkennen konnte. Er öffnete die Tür stieg auf die Schneemassen, die gaben seicht nach und er versank dadurch darin mit dem oben beschriebenen komischen optischen Effekt, welcher  wirkte wie ein einfahrendes Teleskop. Wie geschildert, lagen nun beide im Schneegewühl und sie ruderten dort, wie eine Schildkröte, die man beim weglaufen anhebt. Wir beobachteten das aus einem Fenster im ersten Stock und ich sagte schon zu Kayla, ob ich vielleicht doch mal raus gehe und denen helfe. Auch ein wenig mit dem Hintergedanken, so vielleicht zu erfahren, was die hier auf dem Fabrikgelände wollen. Kayla kicherte nur und meinte, ich solle noch nicht runter gehen und denen helfen, denn das sähe dann aus, als habe man nichts anderes zu tun, als hinter dem Fenster zu stehen und gezielt die Leute zu beobachten. Sie meinte, die kämen auch von selbst da wieder raus und falls nicht, sei es in 15 Minuten immer noch früh genug, denen Hilfe anzubieten und um so dankbarer wären die dann vielleicht, wenn ihnen geholfen wird. Es war ja keine lebensbedrohliche Situation oder so etwas. So haben wir das Schauspiel gemütlich aus dem wohltemperieren Zimmer noch eine Weile lang weiter beobachtet. Nach etwa 5 Minuten gelang es denen, sich an der geöffneten Autotür wieder hoch zu ziehen und sicheren Halt zu gewinnen. Mit hochrotem Kopf, der leuchtete wie eine rote Glühbirne, schimpfte dann der feine Herr lauthals herum. Sein Chauffeur nickte nur andächtig und beide sahen aus wie Schneemänner. Unter der Erkenntnis, dass man auf dem nicht frei geräumten Fabrikgelände wohl ohnehin nichts machen könne, zogen die beiden es vor, wieder das weite zu suchen.

Etwa eine Woche später kamen sie wieder, nachdem am Tag davor extra ein Schneeräumkommando von einer Privatfirma den Eingangsbereich des Fabrikgeländes sowie etliche Wege innerhalb der Fabrikanlage frei geräumt hatte. Das heisst, es hatte in der Woche dazwischen hier nicht mehr nennenswert geschneit, dank der niedrigen Temperaturen war aber der alte Schnee nur etwas in sich zusammengefallen. Sie kennen das ja, wie das ist, wenn Schnee lange liegt und zuweilen mittags etwas Sonne abbekommt und so gerade auftauen möchte, dann aber schon wieder nachmittags von neuem Frost am richtigen Auftauen gehindert wird. So ähnlich wie eine harte Zuckermasse wird das dann. Jedenfalls waren durch das Räumkommando die vorderen Hauptbereiche der Einfahrt sowie auch auf dem Gelände mühsam frei geräumt worden und die vermeintlich hohen Herren breiteten sich dort aus. Nur wenige Minuten nach denen kamen weitere teure Limousinen mit ähnlichen Schlipsträgern und versammelten sich im ersten Innenhof der alten Fabrik. Leider gelang es mir nicht, in Erfahrung zu bringen, was da los war, was die dort wollten. Erst viele Tage später erfuhr ich, dass es möglicherweise Interessenten für Teile der Fabrik oder sogar das gesamte Gelände geben würde. Es hiess, dass ein Konsortium von 2 Firmen, eine aus Hamburg und eine aus Bonn, da irgendwie wohl ein Vorhaben im Kopf hätten, welches sie dort umsetzen möchten, sofern Vater Staat ein Großteil der Kosten übernimmt. Ich meine, wenn Vater Staat alle Folgekosten übernimmt, können die auch gerne die Fabrik auf mich überschreiben und alles bleibt so wie es ist, werden die aber wohl nicht machen. Es bleibt zu befürchten, dass da vielleicht irgend so ein Schickimicki - Quatsch eingerichtet wird, der entrückte Gestalten hierher lockt, die uns dann die Ruhe rauben, nur um ihren Einfaltspinsel - Events nachzugehen. Ich glaube, das muss man kritisch sehen. Ich sage es mal so, wenn die dort wieder normale Firmen etablieren würden, die vielleicht irgendwas herstellen oder so ähnlich, wo dann über Tag etliche Leute arbeiten und nachts ist es wieder relativ ruhig, dann wäre uns das ziemlich egal, aber die Befürchtungen gehen mehr in die Richtung, dass man dort Dinge für Freizeitaktivitäten umbauen will. Eine mögliche Idee soll sein, dass eine der größeren Hallen zu einer Art Tennis- und Squashhalle umgebaut werden soll und eine weitere für diverse Gastronomieprojekte. Genau solch einen Scheiss braucht man hier nämlich ganz gewiss nicht. So was wollen wir hier nicht haben. Das zieht nur wieder Lärmbelästigungen und Auswüchse von Krawallmachern, Alkoholikern, ausrastenden Jugendlichen und dergleichen hierhin. Da wäre es selbst noch besser, wenn man gar nichts machen würde und der Verfall ginge langsam aber unermütlich weiter, wie in den vergangenen 20 Jahren schon. Es ist klar, dass künftige Betreiber das natürlich anders sehen, die wollen Kasse machen, nicht mehr und nicht weniger und die Ortsverwaltungen befürworten es auch, weil die ja dann an der Gewerbesteuer u.s.w. reichlich mit verdienen. Wogegen wir gar nichts hätten, das wäre, wenn hier in den alten Hallen wieder irgendwelche kleinen oder mittleren Firmen entstünden, das wäre völlig ok, aber eine Nutzung für solche Freizeit - Events, das ist für die Umgebung immer Käse, weil es nur ausschließlich Nachteile, wie oben beschrieben, mit sich brächte.

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