Ruinös

Ruinös

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Wir haben hier eine neue Auslegung des Begriffs „Ruinöser Wettbewerb" entdeckt. Das heisst nicht wir haben das entdeckt, sondern Bauarbeiter. Dass man hier bei uns allenthalben auf alte Reste der industriellen Vergangenheit stößt, ist ja nichts neues und verwundert keinen. Die alte Fabrik nebenan, von der stehen heute vielleicht noch knapp 60 %, deren Ausdehnung war früher noch viel größer. Wenn man dann hier buddelt, wie zum Beispiel in unserem Garten, dann stößt man immer wieder auf alte Fundamente oder gar alte Keller, die noch teils erhalten sind und nicht weit unter der Oberfläche schon beginnen. Aber danach kräht heute kein Hahn mehr.

Ganz anders erging es aber vor wenigen Wochen Bauarbeitern hier auf einer Wiese. Auf der anderen Straßenseite, schräg gegenüber von unserem Haus, sind ja bislang nur Wiesen und einige Sträucher, die dann einige 100 Meter weiter südlich in Wald übergehen. Weiter östlich folgt ein See, der früher mal so eine Art Industrieklärteich war. Jedenfalls auf der Wiese, also zwischen gegenüberliegendem Straßenrand und dem See, rückten vor Wochen Bauarbeiter mit einem riesigen Bagger sowie weiteren kleinen Baggern an. Die begannen mit Aushubarbeiten für ein Fundament von einem Gebäude. Nach einigen Tagen frohen Schaffens war eine ansehnliche Grube ausgehoben, die vermuten lässt, dass es eher ein gewerblicher Bau oder so was werden soll. Aber dann plötzlich stockten alle Arbeiten, weil man in etwa 7 m Tiefe auf alte Fundamentreste stieß. Es wurde schnell klar, dass es keine Reste der früheren Industriebetriebe waren. Einige Denkmalspezialisten eilten tags darauf herbei und kamen zu der Erkenntnis, dass es sich bei den Fundamenten wohl um die Ruinen einer ehemaligen Klosteranlage handeln muss, die sich dort bis vor etwa 300 Jahren mal befunden haben soll. Nur in uralten Schriften in einem Landesarchiv habe man bislang mal was von einer damals sehr großen, bedeutenden Klosteranlage gelesen, die aber schon ungefähr im Jahre 1720 aufgegeben und vergessen wurde. Da glaubt man in einer Gegend zu wohnen, wo immer alles kaum besiedelt war, weil es selbst heute noch kaum besiedelt ist, aber offensichtlich hat hier ganz früher mal das Leben gebrummt. Die Bauherrn an der neuen Baustelle sind stinkesauer, weil sie derzeit nicht weiter bauen dürfen, da von einer Landesstelle für Denkmalschutz etliche Archäologen und ähnliche Fachleute mit Begeisterung dort akribisch jeden Millimeter der Ruinenreste frei legen. Es ist sogar völlig offen, ob die da überhaupt weiter bauen dürfen, also nicht nur zeitlich verzögert, sondern vielleicht gar nicht, wenn die Archäologen zu der Erkenntnis gelangen, dass das alles so einzigartig ist, dass es unbedingt der Nachwelt erhalten bleiben muss oder sogar vielleicht öffentlich zugänglich gemacht werden soll, wie eine Art Denkmalstätte oder ein Freilicht - Museum. Es tummelten sich schon ganze Horden von Politikern und Verwaltungsleuten hier, die darin natürlich auch eine Attraktion sehen, die ihnen helfen könnte, sich selbst ins Rampenlicht zu bringen, die aber vielleicht auch als eine besondere Sehenswürdigkeit der Region zu etwas mehr Fremdenverkehr verhelfen könnte. Der Fremdenverkehr spielt hier in der Gegend bekanntlich bislang keine wirkliche Rolle, obwohl es landschaftlich durchaus Reize zu entdecken gäbe, aber dafür ist der bekanntere und noch reizvollere Schwarzwald einfach zu nah. Uns ist das nur recht, aber einige Kommunalpolitiker würden hier gerne den Fremdenverkehr kräftig ankurbeln und am liebsten aus jedem vermoderten Baumstumpf einen Touristenmagneten machen, den die ganze Welt in derartiger Form zuvor noch nie gesehen hat und nun sofort besichtigen muss. Von letztgenanntem Punkt wären wir allerdings alles andere als begeistert, denn damit wäre es hier mit der schönen Ruhe der abgeschiedenen Lage vorbei. Am letzten Sonntag war von Archälogiefritzen keiner da und da haben wir uns das alles mal etwas näher angesehen. Also es ist schon ein schier imposantes Anwesen, was da früher alles mal als Klosteranlage gestanden haben muss, zumal man den Eindruck hat, dass die erst einen kleinen Teil davon freigelegt haben. Für die Bauherren ist das somit eine gewisse Form von ruinösem Wettbewerb, weil die Ruinen deren Baukosten in unkalkulierbare Höhen treiben. Im ungünstigsten Fall müssen sie sogar damit rechnen, dass sie bisher immense Vorkosten erbracht haben, und am Schluß gar nicht weiter bauen dürfen. Wir sehen das alles mit gemischten Gefühlen. Einerseits wissen wir immer noch nicht, was die Bauherren dort bauen wollten, es könnte ja auch etwas sein, was uns nicht wirklich behagt, weil es die schöne Ruhe hier zerstört hätte; andererseits wäre es mit dieser Ruhe mit Sicherheit vorbei, wenn dort wirklich eine Art von Sehenswürdigkeit zutage tritt, die hier viele Leute hinlocken würde.