Hund

Auf den Hund gekommen

Einige Vorbemerkungen zum leichteren Verständnis. Die hier geschilderte Begebenheit versetzt uns zurück ins Jahr 2004, als ich noch alleine in einer sehr kleinen Wohnung in einem sehr großen Mietshaus in Stuttgart lebte. Die Namen der betroffenen Personen wurden leicht verändert, um deren Privatsphäre zu wahren.

In dem Haus war zwischen einem Mieter und dem Hausbesitzer plötzlich ein zäher Kampf entstanden. Manche mögen dazu neigen, bei solchen Streitigkeiten generell den Schwarzen Peter dem Hauseigentümer zuzuschieben, doch das wäre mehr als töricht. In diesem Fall wäre es sogar ganz besonders töricht. Erbittert betrieb vor allem der Mieter diesen Kampf. Der Herr Jeske aus dem zweiten Stock hatte sich im März einfach einen Hund gekauft, obwohl im Hause Hundehaltung strikt untersagt war. Das stand im Mietvertrag sogar sehr fett gedruckt drin und war schon immer so. Wem das nicht passte, der brauchte ja dort nicht einzuziehen, weil es von Anfang an jedem bekannt war. Ich verstand das Problem auch nicht so recht. Der Jeske wohnte schon über 10 Jahre in dem Haus, viel länger als ich. Über 10 Jahre hatte er es mietvertragsgetreu ohne Hund ausgehalten und nun plötzlich muss er unbedingt einen haben. Dann kläffte  dieses blöde Vieh auch noch ständig herum und so dauerte es nur kurz, bis dass der Hausbesitzer davon erfuhr. Mehrere Abmahnungen waren die Folge, mit der Auflage, das Tier binnen Kürze abzuschaffen oder irgendwo auswärts unterzubringen. Jeske wollte nicht, behielt das Tier, dann bekam er deswegen nach mehreren erfolglosen Abmahnungen und Fristsetzungen die Kündigung und sollte raus. Er zog aber nicht aus, sondern brüstete sich mit seiner Mitgliedschaft in einem örtlichen Mieterschutzbund und dass der Ausschluss der Haustierhaltung nach heutiger Gesetzeslage unzulässig sei. So begann ein zermarternder Kampf, der immer eigenartigere Formen annahm. Erklären konnte man es nicht unbedingt. Sah man den Hund, so konnte man es noch weniger erklären. Der schaute aus, wie ein alter, verschlissener und verklebter, hellbraun gefärbter Wischmopp, dem man zwei Rosinen als Augen und eine schwarz angefaulte Kartoffel als Nase auf die Querseite gedrückt hat. Seine Stimme, ein ächzendes, schrilles und sehr unangenehmes Organ, von dem er zu allem Übel auch noch reichlich Gebrauch machte, eigentlich dauernd. Ich hatte den Eindruck, dass der Jeske die Töle mit jedem Schreiben, was er vom Eigentümer des Hauses gegen die Hundehaltung erhielt, dieses Viech noch inniger liebte und sich noch mehr an das kläffende Etwas klammerte. Nun mag man den Standpunkt haben, jede Kreatur hat das Recht darauf, von irgendwem geliebt zu werden, so käme man normalerweise bei der Betrachtung dieses nervenden Kläff - Hundes schnell von diesem Glauben ab. Aber was ist schon normal? Der Jeske erhob den Köter inzwischen zum bellenden Halbgott und brüllte häufig wie besessen durch den Flur, dass er lieber zusammen mit seinem Ronny, so hieß das Gebilde wohl, auf die Straße geworfen würde und dort den Rest seines Daseins mit dem Hund fristen würde, anstatt sich von ihm zu trennen. Ich möchte keinem seine Freude nehmen und gönne jedem sein Glück, aber nach meiner Auffassung war die Regel im Mietvertrag ein weiser Entschluss gewesen, denn ohne Ronny war es deutlich ruhiger im Haus. Hätte er ab und zu einmal Wau gemacht, hätte ich es vielleicht noch hingenommen, aber dieses eklatante Kläffgeräusch hatte mehr mit einer zerrenden Kreissäge gemein, als mit Hundegebell. Darüber hinaus hatte der Ronny später auch öfters in die Grünanlagen hinter dem Häuserkarree gekackt, und da hört der Spaß nun ganz auf, das ist einfach eine Schweinerei, vor allem, weil ich als damaliger Hilfs - Hausmeister öfters dort den Rasen mähen musste. Zudem, wäre der Ronny im Haus geduldet worden, dann hätten auf einmal noch 40 weitere Mieter einen Hund angeschafft und man wäre sich vorgekommen, als habe man eine Wohnung mitten im Tierheim vor lauter Gekläffe und Gescheisse. Nun hatte ich es noch gut, meine Wohnung lag so weit von der Jeske - Wohnung weg, dass ich die Geräuschentwicklung von dem Ding, was sich da Hund nannte, nur zweimal am Tag mitbekam, immer wenn er unten im Flur damit zur Tür lief. Aber Sie können sich lebhaft vorstellen, wie es den direkten Wohnungsnachbarn vom Jeske erging. Die lagen alsbald mit dem Jeske im Dauerstreit und dem Hausbesitzer natürlich laufend in den Ohren, dass sie sogar die Miete mindern wollten, wenn er als Hausbesitzer nicht dafür sorgen würde, das dass endlose Gekläffe abgestellt würde. Die Lage war schon so weit gediehen, dass unter den anderen Mietparteien halb geheime Pläne im Umlauf waren, den Ronny auf eine listige Art zu meucheln. Es wäre wirklich unzumutbar gewesen, wenn der Hausbesitzer dem Jeske die Haltung des Mistviechs ausnahmsweise erlauben würde, denn dann hätte es nicht lange gedauert und fast jeder hätte eine Ausnahme für sich in Anspruch nehmen wollen und einen Hund oder wer weiß was sonst noch alles, vielleicht sogar sehr ausgefallene Tiere halten wollen. Sie wissen ja, wie verrückt die Leute heute sind, da gibt's welche, die kommen auf die tollsten Ideen von Schweinen bis Krokodilen halten sich diese sogenannten Tierfreunde dann alles in einer kleinen Mietwohnung, was kreucht und fleucht. Dann könnte man gleich in den zoologischen Garten umziehen. Da mache ich gar kein Hehl daraus, in diesem Punkt stand ich zu 100 % hinter dem Hausbesitzer. Solch eine Tierhaltung, das geht in so einer Wohnanlage einfach nicht. Ich hatte seinerzeit den Eindruck, dass der Eigner des Hauses von dieser Auseinandersetzung nicht sonderlich berührt war. Er stand völlig souverän über diesen Dingen. Einerseits musste er diesen Disput zwar führen, andererseits waren solche Vorfälle für ihn mit Sicherheit kleine Fische und er hat sich im Stillen wahrscheinlich darüber amüsiert, mit welchen selbst gemachten Problemchen sich manche Leute so herumschlagen. Bei einem Besuch des Eigentümers im Haus standen beide, er und der Jeske diskutierend im Eingangsbereich im Erdgeschoss. Während der Jeske laut gestikulierend und nervös argumentierend dort herumzappelte, hörte der Hauseigentümer sich dessen Argumente lässig und sogar noch recht freundlich an, brachte in ruhigem, fast schon gleichgültigen Ton seine einleuchtenden Gegenargumente vor, das aber dann so, dass keinerlei Auslegungsspielraum blieb, sondern die Konsequenz unmissverständlich lautete: dort weiter wohnen ohne Hund oder weiter mit Hund und ausziehen. Je ruhiger der Hauseigentümer damals argumentierte, um so lauter und giftiger wurde der Jeske. Jedes zweite Wort hieß Mieterschutzbund oder Prozess, wobei sich der Jeske jedes Mal aufbrüstete wie ein Pfau. Er gab zu verstehen, dass er sich mit dem Mieterschutzbund und der heutigen Rechtsprechung im Rücken siegessicher und dem Eigentümer haushoch überlegen fühlte. Nach einiger Zeit hatte der Hauseigentümer keine Lust mehr, die nervige Diskussion fortzusetzen, da sich alles nur wiederholte, wie in einem endlosen Prozess des Wiederkäuens und er sagte zum Abschluss zu dem Jeske nur ganz ruhig und gelassen: "Sie haben die Wahl zwischen zwei Dingen, den Hund behalten oder weiter dieses Haus bewohnen, denn am Schluss wird es nur eine dieser beiden Konsequenzen für sie geben, egal wie viel sie auch lamentieren und völlig egal, was ihr Mieterschutzverein sagt. Da besteht kein Millimeter Spielraum! Im Gegensatz zu ihnen weiß ich jetzt schon, wie die Sache am Schluss ausgeht, egal ob mit oder ohne Prozess, egal ob sie das jetzt im Moment wahr haben wollen oder nicht. Mit Hund gibt es für sie in diesem Haus keine Zukunft." Der Hauseigentümer sagte das in einem zwar bestimmenden, aber ruhig gelassenen, ja fast schon sanften Ton mit freundlicher Miene. Dann ging der Eigentümer raus, stieg gemütlich in sein Auto und fuhr weg. Der ließ sich überhaupt nicht von dem Jeske aufregen oder provozieren, nahm das Theater so locker hin, wie man sich ein Taschentuch aus der Hosentasche zieht, um sich gerade mal eben die Nase zu schnäuzen. Als der Hausbesitzer schon lange weg war, stand der nun schon fast im Wahn erblühende Jeske immer noch da, seine Argumente für den Hund wiederholend, im Flur brüllend und keifend vortragend, genau so, als stünde der Hauseigentümer ihm dort noch immer gegenüber. Sie werden vielleicht über derartige kleine Gegebenheiten schmunzeln, aber was mich daran so verwunderte ist, dass ich den Jeske ja schon einige Jahre flüchtig aus dem Haus kannte und das immer nur als äusserst zurückhaltenden, ruhigen und absolut unauffälligen Menschen. Ein solcher Rundumschlag zum wahngetriebenen Revoluzzer nur wegen einer solch blöden Töle, das ging mir einfach nicht in den Kopf. Das war nicht mehr der Jeske, den ich kannte. Hätte er sich eine Freundin zugelegt und der Hausbesitzer hätte die rausekeln wollen, dann hätte ich ein solches Gehabe verstanden, aber so? Bei einer Freundin hätte es hier aber mit Sicherheit keinen Ärger gegeben, selbst dann nicht, wenn sie nackt über die Flure gelaufen wäre, denn moralische Regeln gab es in der Hausordnung schließlich nicht. In einigen Wohnungen boten sogar leichte Mädchen ihre Dienste an, mehr nur hobbymäßig, dagegen gab es aber nie Einwendungen, es störte ja auch keinen, im Gegensatz zu dieser lauten und furchtbaren Kläffmaschine. Auch verlor der Hund überall Haarbüschel, die dann im Bereich des zweiten Stockes von jedem Windzug im Flur herumgetrieben wurden. Wie schon erwähnt, hatte der Drecksköter sogar öfters auf den Rasen geschissen und an die Hauswand gepinkelt. Wenn ich dann den Rasen mähen musste, flogen die Krümel von seiner Notdurft durch die Gegend, so was wollte ich auch nicht länger hinnehmen. Für mich sah es mehr so aus, als ob der Jeske durch den Köter langsam aber sicher immer mehr zu einem Fall für den Psychiater wird. Es war völlig  realitätsfremd, für einen solchen frolicfressenden Wischmopp seine schöne Wohnung aufs Spiel zu setzen. Kann man sich wirklich so abgöttisch zu einem derartigen Vieh hingezogen fühlen? Das ging mir damals nicht in den Schädel und das geht mir heute nicht in den Schädel, wenn ich das so in der Nachbetrachtung Revue passieren lasse. Nun, wie die Geschichte damals genau weiter ging, weiss ich eigentlich nicht, jedenfalls kenne ich keine Details von dem, was dann kam, obwohl ich von diesem Zeitpunkt an ja noch längere Zeit in dem Haus wohnen sollte. Ich kann mich nur noch daran entsinnen, dass vielleicht 2 Monate später morgens um halb 7, als ich das Haus verließ, schon ein großer Möbelwagen vor dem Flureingang stand, der auch als Haupt - Zugang für die Wohnung vom Jeske dient. Zu dem Zeitpunkt wusste ich aber nicht wofür der da war. Ich glaubte, dass vielleicht neue Mieter einziehen. In dem Gesamtkomplex der Gebäude zogen ständig irgend welche Leute ein oder aus, keine Woche, in der nicht mindestens 2 mal ein Möbelwagen hier stand. An diesem Tag, es war ein Mittwoch, daran entsinne ich mich noch, als sei es gestern gewesen, kam ich erst gegen 13 Uhr wieder in meine Wohnung. Der Möbelwagen war zu dem Zeitpunkt schon weg. Mir fiel gleich auf, dass man im Flur das nervige Gekläffe von diesem Ronny nicht hörte. Ich dachte mir aber nichts dabei, höchstens, dass der Jeske die Kläffmaschine spazieren führt und ich befürchtete schon, dass er bald wieder kommt. Erst am Abend des gleichen Tages fiel mir dann richtig auf, dass man das Gekläffe immer noch nicht hörte, weder im Flur noch draußen. Am nächsten Tag erzählte mir eine Frau, die in einer der Wohnungen in der Nähe von der Jeske - Wohnung lebte, dass man den Jeske in eine Irrenanstalt eingewiesen habe und der Kläff - Ronny ins Tierheim gekommen sei. Die Wohnung sei nun leer und soll an andere vermietet werden.
Ich weiss, es mag gefühllos klingen, aber ich habe mich an dem Abend sehr angenehm entspannt in den Sessel gelehnt, es mir gemütlich gemacht und gut gelaunt gedacht: alles wird gut.

 

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