Abriss

Hausabriss wider Willen

Manchmal kann das Schicksal einem ganz übel mitspielen. Als ich im März durch ein Nachbardorf fuhr, welches etwa 6 km von hier entfernt liegt, staunte ich darüber, dass man nahe des Ortskerns ein größeres Haus am abreißen war, von dem ich bis dato immer den Eindruck hatte, dass es recht gut in Schuß war. Warum reißt man ein gut erhaltenes Haus ab, das ergibt doch keinen Sinn, es sei denn, man will an gleicher Stelle aufwendiger neu bauen. Da ich in dem Dorf ab und zu in einer der wenigen Bäckereien, die es auf diesen kleineren Dörfern im Umkreis noch gibt, schon mal Brötchen oder Teilchen hole, nutzte ich diese Gelegenheit gleich dazu, dort einmal aus Neugierde nachzufragen, warum man denn das scheinbar gut erhaltene Haus jetzt abreißt. Die Bäckerei liegt nur etwa 300 m von dem betroffenen Haus entfernt, dann müssten die das ja wissen, dachte ich mir. Die Bedienungsfrau hinter der Bäckereitheke war sichtlich ergriffen von dem Schicksal des Hauses und hatte bei meiner Frage fast schon die Tränen in den Augen stehen. Was ich nicht wusste, wo aber hier der Zufall mit hinein spielt, diese Bäckereiverkäuferin hatte wohl ihre Kindheit genau in diesem Haus verbracht. Sie sagte, dass sie von 1974 bis 1991 in dem Haus gewohnt habe, weil es damals ihren Eltern gehörte, dann ist sie selbst für einige Jahre zur Ausbildung nach Karlsruhe gezogen. Ihre Eltern hätten das Haus 1995 verkauft, weil sie am Dorfrand in einer Neubausiedlung einen schicken Neubau errichtet haben, da ihnen die etwas beengte Wohnlage mitten im Dorf nicht mehr so gefiel. Trotzdem habe sie selbst immer nur gute Erinnerungen an dieses Haus gehabt, weil sie damals sehr gerne darin gelebt hatte. Die neuen Eigentümer haben dann aber mit dem Haus nicht viel gemacht, es nur etliche Jahre verkommen lassen, sind auch nie eingezogen, es blieb unbewohnt, um es vor wenigen Jahren dann selbst wieder zu verkaufen. Der neue und zugleich letzte Eigentümer, ein Frührentner mit seiner Frau, der früher als Zivilangestellter bei der Bundeswehr gearbeitet hatte, war dann erst im vorigen Jahr dort eingezogen. Allerdings nur provisorisch, weil innen nicht alles nach seinem Geschmack war, er hatte größere Umbaupläne, jedenfalls was das Innere des Gebäudes betraf. Da er nach dem Hauskauf nicht mehr viel Geld übrig hatte und eigentlich wohl auch handwerklich halbwegs geschickt war, wollte er alle Umbauarbeiten zusammen mit seiner Frau selbst machen. Im Ursprungszustand verfügte das Haus über sehr viele Zimmer, die allerdings alle sehr klein waren. So wollte er im Erdgeschoss gleich aus drei L-förmig nebeneinander liegenden kleinen Zimmern ein großes Wohnzimmer machen. Also hieß es Wände rausreißen, was jedoch bekanntlich mit großer Vorsicht anzugehen ist, weil tragende Wände nicht eingerissen werden dürfen, um einen statischen Kollaps zu verhindern. Natürlich kann man auch dort mit entsprechenden Maßnahmen breite Wanddurchbrüche schaffen, indem man die Lasten unterfängt etwa mit tragenden Sturzelementen, die es dafür z.B. aus Beton vorgefertigt in verschiedenen Größen gibt, diese müssen dann meist an den Enden oder auch zwischendurch in ihrer Last mit Stützen portalartig abgefangen werden. Bei nicht tragenden Wänden ist das in der Regel aber alles nicht erforderlich und man kann sie ohne solche Maßnahmen einreißen. Der neue Eigner hatte selbst nun keine Ahnung von der Lastenverteilung und Statik in solch einem Haus, deshalb hatte er sich extra schon die Hilfe eines Architekten aus Bretten geholt, der beratend zur Seite stand. Der soll angeblich alles geprüft haben und sei dann zu dem Schluß gekommen, dass alle betroffenen Wände nicht tragend sind und somit ihr geplanter Einriss problemlos möglich ist und dem Ausbau eines dicken Wohnzimmers nichts mehr im Wege stehen kann. So schritt der neue

Hausabriss wider Willen

Eigentümer forsch zur Tat und legte die entsprechenden Wände alle an einem Tag händisch mit einem dicken Vorschlaghammer nieder. Das klappte soweit alles sehr gut, man konnte im ganzen Staub die üppige Größe des neuen Wohnzimmers schon gut erkennen. Während unten im Haus die Baustelle auf den nächsten Einsatz wartete, ruhten sich die Eigner im ersten Stock aus. Während der Nacht wurden

sie dann von heftigen Knackgeräuschen geweckt. Im oberen Stockwerk hingen in der Küche plötzlich die Hängeschränke so schief, dass sich ihre Türen von selbst öffneten und Geschirr heraus polterte. So aufgeschreckt entdeckten sie die Katastrophe, der gesamte Gebäudeteil, der sich über dem künftigen Großwohnzimmer befand, hing schief nach unten durch. Also waren die  Wände wohl doch tragend oder zumindest eine davon. Da es weiter bedrohlich knarrte und knackte, riefen sie in ihrer Not die Feuerwehr, die eilte zur Hilfe, rief ihrerseits aber noch das Technische Hilfswerk (THW) hinzu, so sollte vermieden werden, dass die ganze Bude noch einstürzt. Mit erheblichem Aufwand wurde die betroffene Gebäudehälfte abgestützt und unterfangen. Ein Spezialist vom THW meinte aber zuversichtlich, dass das Gebäude keineswegs verloren sei, man könne es noch mit einer sogar relativ einfachen Methode retten, indem man die durch Stützen in ihrer Tragkraft ersetzte querliegende Innenwandmauer sowie auch einen Bereich der südlichen Außenwandmauer durch eine stabile Schalung ersetzt und diese dann vom Keller des Hauses bis zur Decke des Erdgeschosses mit Beton volllaufen ließe. Wenn dieser Beton dann nach etwa zwei Wochen weitgehend abgebunden sei, könne man die Schalung und die Notstützen von Feuerwehr und THW entfernen und man habe paßgenaue, tragfähige Mauern, die das Haus locker noch weitere 100 Jahre tragen würden. Natürlich müssten dann auch etliche Schäden in den anderen Gebäudeteilen noch nachrepariert werden, die durch das Absacken entstanden sind, aber der THW - Fachmann sei dabei von einem Gesamtkostenaufwand von etwa 18.000 Euro ausgegangen. Nicht wenig, aber das hätte die Familie ja gerne noch aufgebracht, um ihr Haus zu retten. Doch alles kam ganz anders. Da die örtlich zuständigen Baubehörden von dem Vorfall gehört hatten, schickten diese einen eigenen Sachverständigen zu der Familie ins Haus. Der kam zu der erschütternden Erkenntnis, dass nach Lage der Dinge und der gesetzlichen Bestimmungen zur Gefahrenabwehr das gesamte Gebäude abgerissen werden müsse. Alle Diskussionen halfen nichts, andere Meinungen wurden von der Baubehörde nicht anerkannt und als in dem Fall nicht wirksam anwendbar verworfen. So flatterte den armen Tröpfen eine Abrissverfügung ins Haus, der sie aber auf gar keinen Fall nachkommen wollten. Das eigene Haus auf eigene Kosten abreissen lassen, obwohl es nach eigener Meinung zu retten sei, was ja  vom THW - Spezialisten auch so gesehen wurde, das bringt doch kein halbwegs normaler Mensch übers Herz. So entstand ein Streit zwischen den Behörden und der Familie, der den Hausherrn so belastete, dass dieser kurz darauf einen schweren Herzinfarkt erlitt und verstarb. Unter diesen Vorzeichen hatte die Frau verständlicherweise auch keine Lust mehr auf das Haus und zog weit weg in den Raum Friedrichshafen am Bodensee, woher sie wohl selbst ursprünglich stammte. So hatten die Behörden freie Hand und bestellten eine Abrissfirma, die das Haus binnen zweier Werktage mit einem dicken Bagger dem Erdboden gleich machten. Das Perfide daran ist, die Rechnung dafür kriegt die Witwe dann noch zugestellt und soll diese Gesamtkosten auch noch bezahlen, die weit über dem Restwert des Grundstücks liegen..

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